Immer mehr Serien feiern ihre Premiere auf Filmfestivals. In unserer Berlinale-Folge vom 🎧 Cliffhanger Podcast spreche ich genau darüber mit Julia Fidel, Leiterin der Berlinale Series – der Serien-Sektion des weltgrößten Publikumfestivals. Hier möchte ich euch noch meine Highlights des 2020er-Programms vorstellen.
Freud
Freud – ab 23.03. bei Netflix
Die österreichische Netflix-Serie eröffnete in diesem Jahr die Berlinale Series. Freud handelt natürlich von Sigmund Freud, dem berühmten Begründer der Psychoanalyse und bis heute vielzitierten Kulturkritiker. Entwickelt wurde diese Serie von Marvin Kren, dem Regisseur der ersten Staffel von 4 Blocks. In einem Interview bezeichnete Kren seine Serienschöpfung als „nervenzerreißenden, hypnotischen Trip in die Abgründe der menschlichen Seele“ (Kurier). Hierin äußert sich auch schon die besondere Verschränkung von realistischen und fiktiven Elementen in dieser Serie: Freud ist nur zum Teil ein biographisches Drama. Es wird aufgeladen von Mystery- und Horrorelementen, die um eine erdachte kriminelle Verschwörung kreisen.
Die erste Episode von Freud versetzt uns ins Wien von 1886. Der 30-jährige Sigmund Freud, gespielt von Robert Finster, betreibt hier eine eigene psychiatrische Praxis und ist zudem Dozent an der Wiener Universität. Dort beschäftigen sich die Neuropathologen zu dieser Zeit vor allem mit dem Phänomen der Hysterie. Freud hat seine ganz eigene Theorie zur Entstehung dieser und anderer psychischer Krankheiten, die ihr in folgendem Ausschnitt zu hören bekommt:
Von dieser Theorie wollen Freuds Kollegen nichts wissen und noch viel weniger von seiner Empfehlung der Hypnosetherapie. Während er an der Universität als jüdischer Scharlatan gilt, betrachtet ihn die feine Wiener Gesellschaft als Kuriosum. So findet er sich eines Abends mit seinem Freund, dem Schriftsteller Arthur Schnitzler, bei der ungarischen Gräfin Szapari, gespielt von Anja Kling, wieder. Sie hat zur nächtlichen Séance geladen. Bei dieser Geisterbeschwörung wird ihre Ziehtochter, die mysteriöse Fleur Salomé, von schrecklichen Mordvisionen geplagt. Zur gleichen Zeit wird Wien von einer bestialischen Mordserie heimgesucht.
Die ersten drei Folgen, die es von Freud auf der Berlinale zu sehen gab, präsentieren sehr viele Themen, die die Wiener Gesellschaft des Fin de Siécle umgetrieben haben: grassierende psychische Erkrankungen, schädliche Moralvorstellungen, Kriegstraumata, Antisemitismus. Geschickt werden diese Themen in eine Mystery-Geschichte geflochten. Die daraus entstehende Genremischung erinnert mit ihrem zeitlichen Fokus an Die Einkreisung, Penny Dreadful und gelegentlich an Steven Soderberghs The Knick.
Die Horrormomente von Freud überzeugen aber nicht gänzlich. Zu oft scheint hier das Timing in punkto musikalischer Untermalung verfehlt, als dass das Grauen einen wirklich packen könnte. Dafür überzeugt Freud in punkto Ausstattung und mit einer wirklich hervorragenden Besetzung, die das Wien am Ende des 19. Jahrhunderts lebendig werden lassen. Selbst überzeugen könnt ihr euch ab dem 23. März. Dann sind die 8 knapp einstündigen Episoden dieser ersten Staffel auf Netflix zu sehen.
Dispatches From Elsewhere
Dispatches From Elsewhere – ab 08.05. bei Prime Video
Von Wien ins heutige San Francisco entführt uns die Serie Dispatches From Elsewhere, deren erste zwei Folgen auf der Berlinale gezeigt wurden. Übersetzen könnte man den Titel mit „Sendungen von anderswo“. Dispatches From Elsewhere stammt aus der Feder von Jason Segel, den die meisten wohl noch als Marshall aus How I Met Your Mother kennen. In den vergangenen Jahren schrieb er aber auch Drehbücher für einige Komödien wie Nie wieder Sex mit der Ex und Fast verheiratet.
Dispatches From Elsewhere begleitet vier Figuren durch ihre Erfahrung mit einem sogenannten Alternative Reality Game. Segels Serie basiert auf einem On- und Offline ausgetragenen Spiel namens Jejune Institute. Bis vor einiger Zeit gab es dieses tatsächlich in San Francisco. Die teilnehmenden Spieler wurden Online instruiert, scheinbar sinnfreie Aufgaben in der Realität zu vollführen. Das Jejune Institute, so ist heute zu lesen, war Spiel, Kunst-Installation und soziale Bewegung in einem (Vice). Jason Segel wurde auf das Thema aufmerksam, nachdem er die 2013 erschienene Doku The Institute sah. Daraus entwickelte er eine Erzählung, für die er sich bei den Schöpfern des Jejune Institute höchstpersönlich den Segen holte, wie er beim Q&A im Anschluss an die Premiere erzählte:
So kurios wie diese reale Begegnung Jason Segels gestaltet sich auch der erste Blick in Dispatches From Elsewhere. Richard E. Grant, der Octavio Coleman, den Leiter des Jejune Instituts spielt, ist auch der Erzähler. Zu Beginn jeder Folge fordert er uns auf, uns in die Situation der jeweils fokussierten Figur hineinzuversetzen. In der ersten Folge ist dies Peter, gespielt von Jason Segel. Er führt ein freudloses Dasein als Datenverarbeiter für eine Musik-App in San Francisco. Eines Tages entdeckt er in der Straße mehrere skurrile Plakate, die etwa für das Erlernen der Kommunikation mit Delphinen werben. Bald findet sich Peter im Büro des Jejune Instituts wieder. Doch statt sich deren Programm zu verschreiben, schließt er sich der Gegenbewegung „Elsewhere“ an. Diese und das Jejune Institute streiten um Wert und Definition der sogenannten „Divine Nonchalance“, eine Art froher Fatalismus und Lebensgestaltungsmöglichkeit. In dieser Bewegung lernt Peter Simone, Janice und Fredwynn kennen, die sich alle aus ganz eigenen Gründen, auf Elsewhere eingelassen haben.
In mehrfacher Hinsicht abenteuerlich gestalten sich die ersten zwei Folgen von Dispatches From Elsewhere. Zum einen ist da diese rätselhafte Story, die auf witzige und melancholische Weise von Segel aufbereitet wurde. Zum anderen bedient er sich dabei ungewöhnlicher Erzählmittel. Weshalb, erklärte Segel im Q&A:
Doch so abenteuerlich sich diese beiden ersten Folgen von Dispatches From Elsewhere auch gestalten, so wenig kann ich wirklich beurteilen, in was für eine Richtung die weiteren acht Folgen qualitativ und erzählerisch noch gehen. Während die erste Folge durch die besonderen Erzählmittel noch interessant wirkte, weist die zweite schon erste Längen auf. Insgesamt scheint sich die Serie mit den Möglichkeiten zum Ausbruch aus alltäglicher Routine aber auch der Überwindung von Hass und Diskriminierung auseinanderzusetzen. Ob sie dabei aber mehr als ein paar eingestreute Lebensweisheiten und spektakulär bunte Bilder zu bieten hat, bleibt nach zwei Folgen offen. Dennoch: Mich interessiert, was genau es mit Divine Nonchalance auf sich hat. Daher schaue ich auf jeden Fall nochmal rein, wenn die Serie ab dem 8. Mai bei Prime Video von Amazon anläuft.
The Eddy
The Eddy – ab 08.05. bei Netflix
Von San Francisco verschlägt es uns schließlich nach Paris und in die Welt des Jazz, mit der Netflix-Serie The Eddy. Die Berlinale Series endete in diesem Jahr mit der Premiere von zwei Folgen aus dieser mit Spannung erwarteten, französischen Produktion. Kein Wunder, immerhin war kein geringerer als Damien Chazelle, der Regisseur von La La Land und Whiplash, in dieses Projekt involviert: als Produzent und Regisseur dieser ersten beiden Folgen. Idee und Drehbuch stammen vom Briten Jack Thorne. Chazelle konnte leider nicht bei dieser Premiere von The Eddy dabei sein. Dafür erklärte aber vor der Vorführung Alan Poul, der ebenfalls bei zwei Folgen Regie führte, wie es zur Entstehung des Projektes kam:
Dass die Musikkompositionen vor dem Drehbuch entstanden, sagt schon viel über The Eddy aus. Es ist eine Serie, die von Beginn an die Musik in den Vordergrund stellt. Gleich in der ersten Szene gelangen wir direkt in den etwas schäbigen Pariser Jazzclub und platzen quasi mitten in einen beschwingten Song hinein. Dabei dreht sich die Kamera teilweise rapide um die eigene Achse. Dies war auf der Kinoleinwand überwältigend bis überfordernd. Und hätte ich es vorher gewusst, hätte ich mich vielleicht nicht in die vierte Reihe gesetzt.
In diese Jazznummern eingebettet ist die Geschichte um den Clubbesitzer Elliot, der in Geld- und Liebesnöten steckt. Gespielt wird Elliot von André Holland, der vielen aus Moonlight bekannt sein dürfte. Der Club ist überschuldet und ihm und seinem Geschäftspartner Farid sitzen üble Geldeintreiber im Nacken. Hinzu kommt seine On-Off-Beziehung mit Maja, der Sängerin der Clubband, die verkörpert wird von Cold War-Star Joanna Kulig. Und als wäre dies alles an Sorgen nicht genug, reist Elliots 16-jährige Tochter Julie aus New York an. Dies ist nicht nur pubertär, sondern auch psychisch stark belastet von einem familiären Schicksalsschlag.
Was The Eddy so besonders macht, ist in erster Linie die völlige Hingabe zur Musik. Diese äußert sich nicht nur in den von Sorgen umtriebenen, aber immer in ihren Instrumenten Zuflucht findenden Figuren. Hier wurde zudem äußerst viel Mühe in die musikalischen Darbietungen gesteckt. So haben einige der Darsteller Instrumente völlig neu erlernen müssen, damit sie entsprechend für die Serie live gespielt werden können. Zudem wird Paris hier aus einer Perspektive präsentiert, wie wir sie eher selten in Film und Fernsehen vorfinden. Nicht die romantische, strahlende Seite von Paris steht im Vordergrund. Sondern die rauen, von Armut und Kriminalität geprägten Gegenden, die zugleich von kultureller Vielfalt und Lebendigkeit strotzen.
Diese Lebendigkeit ist auch The Eddy anzumerken. Es ist eine Serie, die nach den ersten zwei Folgen ein Gefühl von beschwingter Melancholie hinterlässt. Um sie wirklich genießen zu können, muss man zwar kein ausgewiesener Jazz-Liebhaber sein, aber man sollte diesen Klängen nicht abgeneigt sein. Die 8 einstündigen Folgen von The Eddy könnt ihr ab dem 8. Mai auf Netflix entdecken.